Was die Mode streng geteilt - Abschottung überwinden

Mit dem Einzelnen und dem Gemeinwohl ist es etwa so wie mit dem Menschen und der Natur. Wir leben in einem Paradigma der Separation, begreifen uns als getrennt von der Mitwelt. Was geht mich das Gemeinwesen an, solange es sich in einem halbwegs funktionierenden Zustand befindet? Im Gegenteil: Was springt für mich raus, wie kann ich möglichst viel profitieren? Stichwort Cum Ex oder Maskendeals. Der Gemeinsinn scheint - parallel zum Artensterben in der Natur - eine bedrohte Spezie. Öffentliche Räume und Debatten verlieren ihre integrative Kraft, da sich die Menschen mehr und mehr in private Realitäten und Echokammern der “Sozialen Medien” zurückziehen. Viele Menschen sind nicht mehr erreichbar für eine “gemein-sinn-hafte” Auseinandersetzung, weil sie sich in ihrer Blase eingerichtet haben und ihre Ressentiments pflegen.

Gesellschaft ist, wenn man mit Leuten zusammenkommt, die man eigentlich nicht treffen will. Jens Kersten

 

Die mediale Bespielung hat es einfacher gemacht, sich den Zumutungen des Gemeinwesens zu entziehen. So gibt es immer mehr einsame, abgeschottete Menschen, die anfällig sind für “gemein-gefährliche” Propaganda. “Ich und mein Stamm zuerst!” Darüber kann man urteilen. Man kann es auch als ein Abbild oder eine Reaktion betrachten auf die gängige Wirtschaftsweise vieler Unternehmen und Konzerne mit ihren extraktiven Geschäftsmodellen. Sie sind auf kurzfristige Profitmaximierung, auf den “Shareholder Value” ausgerichtet und versuchen möglichst viele Kosten auf die Allgemeinheit und die Umwelt abzuwälzen. Im Kleinen wie im Großen: Eine typische Erscheinung der “Story of Separation”, wie sie Charles Eisenstein beschreibt (siehe Literatur). Vielleicht aber auch wie ein letztes Aufbäumen des Alten, bevor sich ein neues Bewusstsein durchsetzt. Eisenstein nennt es “Interbeing”: Wir sind mit allem verbunden und tragen zum Wohl aller bei; für uns selbst, unser Umfeld und die Natur. Dass solch ein neues Bewusstsein entsteht, ist vielerorts sichtbar und geschieht scheinbar gleichzeitig mit dem Erstarken der alten, separierenden Kräfte. 

 

 

“Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt.”
 (Ode an die Freude, Friedrich Schiller; Beethovens 9.)

 

So entstehen neue Gemeinschaftsprojekte wie Ko-Dörfer, Gemeinwohl-Währungen wie der Gradido und Regionalwährungen, Community-Plattformen wie bring-together.denebenan.de und eine Sharing-Ökonomie (sharepar.com). Unternehmen und Organisationen erstellen eine sog. Gemeinwohlbilanz und verpflichten sich damit zu “Corporate Social Responsibility“. Menschen verbinden sich, teilen miteinander und tun etwas für das Gemeinwohl. Auch wenn es “nur” eine Müllsammelaktion ist. 

 

Susan Sontag, amerikanische Schriftstellerin, hat es so formuliert: "Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken." Entscheiden wir uns also täglich neu, in welchem Land wir leben wollen: In einem Land der Separation oder in einem Land der Verbundenheit. 

 

Fangen wir damit an, freundlich auf die Menschen zu schauen, die wir “eigentlich nicht treffen” wollen: die, die uns auf der Straße begegnen. “Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.” 

 

 

Literatur: 
Charles Eisenstein, “Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich

Richard Sennett, “Verfall und Ende des öffentlichen Lebens: Die Tyrannei der Intimität” 

 

Andreas Fiedler

 

Bild zur Meldung: Remi Walle auf Unsplash