Die Bedeutung von Stille
„Jedes Etwas ist eine Feier des Nichts, das es trägt.“
Der Avantgarde-Komponist John Cage erhob mit seiner vom Zen-Buddhismus inspirierten Auffassung von Stille das Hören von Musik zu einer Meditation über das, was ist. Cage lebte und arbeitete zusammen mit dem Tänzer und Choreographen Merce Cunningham im vom Autoverkehr umbrausten Manhattan. Da war Stille ein rares Gut. Und so war für ihn klar, dass so etwas wie Stille nicht existiert, denn es gibt immer etwas zu Lauschen. Folgen wir diesem Gedanken, so stoßen wir auf die Pausen, die Zwischenräume zwischen den Tönen. Gäbe es keine Pausen, hörten wir einen durchgehenden Klang, einen Klangteppich, ein einziges sostenuto, entstünde keine Musik. Dies gilt umso mehr für die Rhythmik, da ein Schlag nur als solcher im Gegensatz zur Pause davor und danach wahrgenommen wird.
Gewiss ist jene Aporie von der Stille, die es nicht gibt und die doch so wesentlich für unser Hören ist, als eine Art Zen-buddhistisches Kōan zu verstehen. Eine Einladung zum Nachdenken. Ohne die Stille, die für die Leere steht, und ebenso für die (innere) Ruhe, Besinnung, Sammlung, Einkehr, gäbe es demnach kein wirkliches Hören, keine tiefergehende Wahrnehmung. In diesem Sinne wird die Stille im Wirbel der alltäglichen Geräuschkulissen, der To Do’s, Ziele, Aufgaben, Herausforderungen, Zwänge und Pflichten zu einem Sehnsuchtsort.
Wir suchen die Stille auf, und sei es nur momentweise, um zu uns selbst zu gelangen, innezuhalten, zu verschnaufen, auszuruhen. Dies braucht keine absolute Stille zu sein. Es reicht aus, ein relativ beruhigendes Ambiente aufzusuchen, im Äußeren wie im Inneren einen relativ leeren Raum zu finden, der Zeit gewährt für vorübergehendes Anhalten und Gewahrwerden. So entsteht ein Abstand, der Fragen zulässt wie „Was tue ich gerade?“, „Wo bin ich eigentlich?“, „Was geschieht um mich herum?“, „Was geschieht in mir?“.
Werde ich dieser Dinge gewahr, öffnen sich eine Weite und eine Tiefe in der Betrachtung dessen, was ist. Wenn mich die Sehnsucht nach einem solchen Raum ergreift, spricht gleichsam meine Intuition und lenkt mich zu jenem wie auch immer gearteten Raum der Stille, damit ich zu mir kommen kann, mich spüren, wahrnehmen, vielleicht erkennen. Je offener, wertschätzender, liebevoller dieser Vorgang in mir geschieht, desto nährender kann die Stille wirken, desto tiefer kann ich in die Stille sinken und verändert aus ihr hervorgehen.
1 John Cage, Silence, übersetzt von Ernst Jandl, Frankfurt / Main 1987 S. 53
2 altgriechisch ἀπορία (aporia), philosophisches Problem oder Fragestellung, welche nicht eindeutig zu lösen ist
3 paradoxe und provozierende Frage des Zen-Meisters an seine Schüler:innen
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