Ruhe bitte - eine Dichterreise mit Hindernissen
Eigentlich hatten wir es uns so schön vorgestellt. Fast romantisch. Schreibend im Zug durch die Lande rollend, wie Fontane, versonnen aus dem Fenster schauend, während sommerliche Landschaften an uns vorbeifliegen, schweigend, plaudernd, uns austauschend und Inspirationen gleich luftiger Pingpong-Bälle hin und her spielend.
Wir schreiben beide und hatten unsere Laptops dabei. Unser Treffpunkt im Waggon klappte super. Nur mit einem hatten wir nicht gerechnet: Einem vollen Zug! So mitten in der Woche am Vormittag?! Eingeklemmt saßen wir nun am erträumten Fenster an dem kleinen Tischchen, das eher für Stulle und Brot geeignet war, gegenüber. Ein Laptop hatte dort Platz.
Nun denn, dann vertiefen wir uns halt erstmal in die fusseligen Gedanken meines neuesten unausgegorenen Werkes. Ein gedanklich intimer Austausch darüber war jedoch nicht möglich, so mit freundlichen Sitznachbarn auf Tuchfühlung. Ein bisschen Fachsimpelei, eher steif als kreativ. Die Nähe unvertrauter Ohren war für uns wenig inspirierend. Wir Schreiberlinge brauchen’s ruhig. Zumindest phasenweise.
Wir verschoben unser Vorhaben auf ein erhofft schönes Café mit Meerblick in der uns unbekannten Stadt unseres Reiseziels. Das Wetter war fantastisch. Blauer Himmel über uns, eine erfrischende Meeresbrise um uns und ein kleines Hüngerchen in uns. Ja, wir werden auch essen gehen, aber erst noch ein bisschen flanieren. Und vielleicht finden wir ja noch ein ruhiges Plätzchen für unseren Dichterplausch.
Wir fanden ein schönes Plätzchen, ja, sogar mehrere. Nur ruhig waren sie nicht. Inzwischen hatten wir unser Vorhaben, gemeinsam kreative Prosa zu produzieren, an den inneren Nagel gehängt. Vielleicht auf der Rückfahrt …
So genossen wir den Ruf der Möwen, die Gelassenheit im ziellosen Spaziergang und Nährendes für unser leibliches Wohl.
Wir waren pünktlich am Bahnhof und fanden nach einigen Wirren auch den richtigen Zug am falschen Gleis. Kaum eingestiegen wurde uns schnell klar, dass auch die Rückfahrt uns keine Bibliotheksatmosphäre bieten würde. Fußballfans, wohin das Auge auch blickte! Zwei Plätze am Zugübergang waren noch frei. Puh, wenigstens nicht stehen müssen. Kaum war der Zug in Fahrt, strömten (woher?) immer mehr Fans in den winzigen Bereich. Lautstark wurde gefachsimpelt, gegrölt, gelästert und randaliert. Ausnahmslos Männer. Wo waren die Frauen?
Eine Asiatin auf der gegenüberliegenden Seite, eingeklemmt zwischen doppelt so großen Kerlen, saß mit geschlossenen Augen und scheinbar in innerer Einkehr versunken. Ich versuchte, mir ein Beispiel an ihr zu nehmen, aber der kleine Raum war mit unerträglichem Lärm und Radau gefüllt. Alle Kraft gehörte dem Widerstand! Dem inneren. Mit fast drei Stunden Verspätung (die Haltestellen wurden polizeilich versorgt) stolperte ich mit klingelnden Ohren aus dem überfüllten Zug.
Schweigen! Friedliche Natur! Durchatmen
Trotz allem war es ein schöner gemeinsamer Tag, bestätigten wir uns beim nächsten Telefonat. Nur dichten werden wir zukünftig wieder Zuhause in der Ruhe und Stille.
Expertin für Hochsensibilität & Hochbegabung
Bild zur Meldung: Fredrik Öhlander auf Unsplash