(K)ein Mensch braucht Sichtbarkeit
Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, in unserer allmonatlichen Autorenrunde das Thema Sichtbarkeit vorzuschlagen? Völlige Umnachtung? Ich hasse Sichtbarkeit! Also diese businessmäßige Sichtbarkeit. Dieses: Schau her, ich mache heute dies, und morgen das, und übermorgen habe ich eine Million verdient. Ist das nicht cool? Kannst du auch!
Das ist einfach nicht mein Ding. Ich bin keine Rampensau. Also werde ich jetzt ein Plädoyer gegen die Sichtbarkeit halten.
Kein Mensch braucht Sichtbarkeit! Ich sage immer: Was zu sehen ist, ist zu sehen. Was zu spüren ist, ist zu spüren. Fertig. Und wenn ich nichts sehe oder mitkriege, dann ist das eben so und wird schon seinen Grund haben. Wie haben denn die Schuster und Therapeuten früher, als es noch kein Internet gab, ihre Kunden gefunden? Ja, da gab es die gelben Seiten. Die fand ich klasse. Du hast was Bestimmtes gesucht, nachgeschlagen und anhand von Adresse und dem dich ansprechenden Namen des Anbieters gewählt. Oder durch Empfehlung. Das hat meine Mutter, eine echte Tratschtante, sehr gerne gemacht. Immer am Gartenzaun oder beim Einkaufen. Oh, wie war mir das jedesmal hochnotpeinlich.
Heute wird ja am Handy getratscht. Oder in den Posts und Videos und Reels, zumindest erscheint mir das so. Da werden die zu teilenden Infos mit ausschweifenden Geschichtchen über den Hund, die Katze, den letzten Einkauf, das Meeting oder Klientengespräch geschmückt, die auch in ein oder zwei Sätzen erledigt gewesen wären. Ist das wirklich Sichtbarkeit oder nur Hintergrundrauschen?
Was ist mit dieser „Sichtbarkeit“ eigentlich überhaupt gemeint? Möglichst oft und lange am Bildschirm erscheinen? Medienpräsenz all over? Ich meine, was wäre denn, wenn das alle so machen würden? Alle, die sichtbar werden wollen, klemmen sich hinter ihre Handys und Videokameras und posten, was das Zeug hält. Wer soll das denn alles sehen oder gar noch verarbeiten können?
Ich bin ja hochsensibel - hab ich im Internet rausgefunden, ganz interessante Podcasts, sag ich dir - und als solche völlig ungeeignet für eine derartige Informationsflut. Völlig egal, ob andere oder ich sie selbst produzieren. Ich brauche es überschaubar, klar, übersichtlich, auf den Punkt gebracht - und davon nicht zu viel. Ich sag’s ja: Gelbe Seiten. Aber inseriert da überhaupt noch jemand? Ich jedenfalls habe gar keins mehr.
Ich frage mich ernsthaft, wo denn diese ganze Überflutung noch hinführen soll. Früher hieß es: dreimal etwas sehen, dann dockt jemand an, neuerdings liegt der Schnitt bei zehnmal - wenn’s reicht. Im Wachstum gibt es nichts Unendliches, heißt es. Aber mein Ende der Fahnenstange ist hier jetzt doch erreicht! Ich gehe wieder zurück zu den Wurzeln, schlicht, gezielte Inhalte, nur wenige auserwählte Plattformen und dazwischen gaaanz viel Ruhe, Erdung und Atmen. Ganz nach dem Motto: Weniger ist Mehr!
Hochsensibilität & Hochbegabung
Bild zur Meldung: Michaela 💗 from Pixabay