Politische Schönheit
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – dieser Satz weist darauf hin, wie individuell und subjektiv unser Erleben von Schönheit geprägt ist. Doch was bedeutet es eigentlich, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt? Können wir Schönheit selbst erzeugen? Und wenn ja, wie? Eine erste Antwort darauf gibt uns der Konstruktivismus, eine Erkenntnistheorie, die davon ausgeht, dass wir unsere Wahrnehmung von der Welt aktiv erschaffen – also nicht einfach „objektiv“ empfinden, sondern immer in Wechselwirkung mit unserer inneren Einstellung. Wie durch einen Filter, eine Brille, die wir aufsetzen.
Ein wichtiger Aspekt in der Wahrnehmung von Schönheit ist unser Fokus. Was wir bewusst wahrnehmen und wertschätzen, erscheint uns als schön. Dieser Ansatz lässt sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen und damit ins Politische übertragen. Wenn wir anderen Menschen mit einer Haltung der Wertschätzung und des Respekts begegnen, fördern wir das Hervortreten von Schönheit – sowohl innerlich als auch äußerlich. Es gibt einen sogenannten „Andorra-Effekt“, eine „selbsterfüllende Prophezeiung“, nach der die Erwartungen, die wir an andere stellen, deren Verhalten beeinflussen. Wenn wir jemandem mit Anerkennung und Liebe begegnen, wird dieser Mensch in der Regel auch entsprechend positiv reagieren.
Indem wir negative Denk- und Verhaltensmuster entwickeln verlieren wir den Zugang zur Schönheit. Bekommt der „Geist, der stets verneint“ (Goethes „Faust“) zu viel Raum in unserem Denken, werden unsere negativen Erwartungen und Bewertungen auch das Verhalten anderer negativ beeinflussen. Wenn wir Menschen oder Situationen durch die Brille von Bewertung, Verurteilung oder Respektlosigkeit betrachten, führen wir sie in die Negativität. Wir reduzieren das Gegenüber auf Defizite oder Mängel und verhindern damit das Entstehen einer tiefen, wertschätzenden Verbindung. In der Debatte um „Ostdeutschland“ lässt sich das 1:1 ablesen.
Die Vielfalt der Perspektiven
In einer Zeit, die von Polarisierung, Ungleichheit und populistischen Bewegungen geprägt ist, hat Schönheit einen schweren Stand. Populisten neigen dazu, einfache, oft spaltende Lösungen zu präsentieren, die die Komplexität menschlicher Erfahrung und die Vielfalt der Perspektiven ignorieren. In solchen Kontexten wird Schönheit durch vereinfachte, polarisierte Sichtweisen zerstört, die Feindbilder und Trennung statt empathischer Verbindung fördern.
Der Weg zurück zur Schönheit führt immer über unsere innere Haltung. Schönheit entsteht in unserem „Auge des Betrachters“, dort, wo wir bereit sind, das Gute zu sehen, wo wir uns in Respekt und Achtsamkeit üben und wo wir bereit sind, unser Urteil zurückzuhalten. Indem wir uns immer wieder auf das Positive, das „Wahre, Schöne und Gute“ konzentrieren, können wir es nicht nur in anderen, sondern auch in uns selbst entdecken.
Schönheit ist also nicht nur etwas, das wir sehen, sondern auch etwas, das wir aktiv erschaffen – in unseren Gedanken, in unserem Verhalten und in unseren Beziehungen und damit in unserer Gesellschaft. Es liegt an uns, wie wir Schönheit in der Welt und in uns selbst entdecken oder wie sehr wir uns vom faustischen „Geist, der stets verneint“ ablenken lassen.
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