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Im Rhythmus meiner Schritte

Ich möchte wieder eine zehntägige Wanderung machen, diesmal auf dem Brandenburger Jakobsweg von Hennigsdorf bis Tangermünde. Es ist noch vorfrühlingshaft und ich merke schon, dass meine Unternehmungslust steigt, ich mich auf den Frühling freue, wieder bei Kräften bin und unbändige Lust habe mich zu bewegen in der Natur. Ich habe keine Erwartungen, möchte mich nicht völlig verausgaben, sondern einfach meinem Rhythmus folgen, so wie er sich mir von Tag zu Tag offenbart. 

 

Auf dem Weg nach Bötzow habe ich noch viele Alltagsgedanken im Kopf. Der Untergrund ist sehr abwechslungsreich und der Pilgerwagen lässt sich leicht ziehen. Anfangs nieselt es, darum raste ich nicht, der Boden ist nass. Die gesprächige Wirtin erzählt ausführlich über die Region und die Menschen. Es ist einsam hier und Nachbarn haben wenig Kontakt, weil es auch keinerlei Treffpunkte gibt, kein Cafe, geschweige denn ein Kino. 

 

Es stellen sich erste Momente ein, wo ich nicht mehr denke. Wo ich einfach gehe und zu einem einzigen Wahrnehmungsorgan werde, das fühlt, riecht, spürt und genießt. Ich bin auf dem alten Postweg Richtung Hamburg unterwegs und habe eben die Autobahn überquert. Wegen einer falschen Wegbeschreibung muss ich eine Gruppe Einheimischer fragen und die sind so ungemein nett und hilfsbereit, dass mein Herz vor Freude hüpft. In Flatow werde ich herzlich empfangen und um und durch die Kirche geführt. Ein besonderer Ort, den ich gerne weiterempfehle. In der Abendsonne vermisse ich das fehlende WLAN kaum. 

 

Am nächsten Tag starte ich aus Flatow bei wolkenlosem Himmel und kalter Luft und gehe durch eine blühende Allee über einen erdigen Weg, umgeben von steppenartiger Ackerlandschaft. Die Natur beginnt zu mir zu sprechen. Ich beginne sie zu fühlen. Lasse mich berühren von einzelnen Bäumen, die besondere Merkmale oder Schäden aufweisen, stolz und frei dastehen oder kümmerlich wirken. Ein Auto hält und der freundliche Fahrer erklärt mir den Weg, obwohl ich ihn gar nicht suche, er will einfach helfen. 

 

 

Die Weite der Landschaft weitet mich. Am dritten Tag finde ich mehr und mehr in meinen Rhythmus. Das Wandern fällt mir leicht, ich gehe und gehe, das Hunger- und Durstgefühl lassen nach. Der Wind pustet mir die Haare ins Gesicht. Der gleichmäßige Rhythmus meiner Schritte ist ein Genuss und die Landschaft zieht langsam vorüber. Manchmal ertappe ich mich dabei, abwesend zu sein. Was habe ich die vergangenen zehn Minuten wahrgenommen, was habe ich gedacht? Jetzt bin ich wieder hier: spüre kalte Hände, kalte Ohren, Wind in meinem Gesicht. Wo bin ich, wenn mein Bewusstsein nicht präsent ist? Jemand hat das mal Unterm Radar Fliegen genannt. Dann: Antennen wieder ausgerichtet nach außen und innen. Meinem Rhythmus folgen. Am Wegesrand begeistert mich die üppige Fülle der weißen Sauerkirschblüten. Ich nehme den Wechsel wahr, zwischen Gedanken schweifen lassen und Konzentration, den Rhythmus von Entspannung und Spannung. 

 

Wenn ich morgens gestartet bin, meine heutige Wegstrecke gecheckt habe und alles gepackt ist, dann erst stellt sich ein Gefühl von Entspannung und Freiheit ein. Ich bin wieder auf dem Weg, die Sonne scheint! Tage später verliere ich mein Handy auf einem Feldweg. Erst 5 km später vermisse ich es. Dadurch falle ich aus dem Takt. Am nächsten Tag ist es wieder da! Dann bin ich eine Nacht in Tramnitz bei einer Freundin. Dort vergesse ich meinen Anhänger in ihrem Kofferraum, so dass ich meinen Trolley über die Landstraße ziehen muss mit Rucksack auf dem Rücken, um nachmittags die Freundin andernorts wieder zu treffen. Anschließend wandere ich nach Kümmernitz zu einem befreundeten Paar. Dort geht am Abend die Post ab mit Trommelrhythmen, Gesang und Klang. 

 

Am nächsten Tag übernachte ich in Göricke in einer gepflegten Wohnung - doch wieder ohne WLAN. Darum und auch weil das Wetter unbeständig ist, wandere ich nur noch bis Bad Wilsnack und fahre wieder nach Hause. Die Wanderung war voller unerwarteter Begegnungen, Momente von Entspannung und Freiheit. Jetzt kehre ich gerne in zurück in die Rhythmen meines Alltags.

 

Lydia Poppe 

 

Bild zur Meldung: Lydia Poppe

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